Genau wie damals?

„Zu mir oder zu dir?“

Freitagabend, Samstagmorgen. Ein Uhr.

Vor genau einem Jahr waren wir an genau derselben Stelle. Genau das gleiche Fest. Nur der Alkoholpegel ist jetzt höher. Doch irgendwas hat sich verschoben.

„Zu mir“, sage ich. Wir steigen ins Taxi. Hand in Hand. Genau wie damals.

Die Vertrautheit ist immer noch da. Ich weiss genau, was er jetzt tun wird. Kleidung ausziehen, alles sorgfältig über die Lehne meines Schreibtischstuhls legen, Handy und Uhr daneben. Genau wie damals.

Und wir schlafen sofort ein. Beide todmüde von den Anstrengungen der gesamten Woche.

Wir wachen früh auf, bleiben aber noch liegen. Geniessen die gemeinsame Zeit, ohne gross zu reden. Und er bleibt. Länger als er je geblieben ist. Etwas hat sich geändert.

Wir haben uns verändert. Sind gewachsen und doch immer noch dieselben.

Die Vertrautheit ist geblieben, aber er hat andere Absichten. Ich merke es. Er ist nicht einfach so geblieben. Er wollte bleiben, will bleiben. Und ich will, dass er bleibt.

Doch letztes Jahr lief alles anders. Enttäuschung. Missverständnis. Frust.
Also was genau hat sich geändert?

Die Tatsache, dass wir beide Single sind?

Das er zur Zeit keine Andere hat?

Bin ich nur ein Lückenbüsser, weil ich zur Verfügung stehe?

Genau darin besteht meine Angst. Angst vor Ablehnung, sobald sich was besseres ergibt. Genau wie damals.

Meine Schwester sagt, ich soll es zulassen. Einfach loslaufen, springen. Sich womöglich die Beine brechen, aber immerhin nie fragen müssen „Was wäre wenn“. Man muss zuerst fallen, bevor man das Aufstehen lernt. Genau wie damals.

Und ich sitze zwischen den Stühlen. Kann mich nicht entscheiden. Springen oder ihm den Rücken kehren. Fühl mich hin und her gerissen. Zwischen „Nicht möglich“ und „was wäre wenn“. Zwischen der Angst vor Nähe und dem Guten Gefühl, in seinen Armen einzuschlafen, neben ihm aufzuwachen. Hört sich naiv an. Ich weiss. Wie ein kleines naives Mädchen, das zum ersten Mal verliebt ist. Das lächelt, sobald jemand seinen Namen sagt, oder sein Name auf dem Bildschirm erscheint. Doch das bin ich nicht. Nicht mehr. Aber manchmal wünsche ich mir genau das zurück. Wieder ohne nachzudenken ins tiefe Wasser zu springen, in der Hoffnung, dass man von jemandem aufgefangenv wird.

Auffangen. Das Gefühl aufgefangen zu werden. Jemanden zu haben, der einen vor dem Sturz bewahrt. Vor dem Gefühl zu fallen. Immer weiter. Ohne Ende. Genau das brauche ich.

Aber ich weiss nicht, ob er dafür der Richtige ist. Ob ich ihm vertrauen kann. Schwäche zeigen kann. Mich fallenlassen. Genau wie damals.

Es fühlt sich an, als hätte sich alles verschoben, verändert.

Er sagt, es wird nicht gleich ablaufen, wie letztes Jahr. Er wird seine Fehler nicht wiederholen. Er will es besser machen. Richtig.

Doch dann muss ich meine Fehler wiederholen. Ihm wieder vertrauen. Ihn wieder an mich heran lassen. Die Mauer abbrechen. Und ich weiss nicht, ob ich das kann. Genau wie damals.